„Ich bin eine Brücke zwischen zwei Welten, die sich sonst nie kreuzen würden“

Jasmin ist deutsch-tamilische Content-Creatorin. Mit canny spricht sie über die Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen, Rassismus und ihre tamilische Identität.

© Privat. Jasmin steht im Saree gekleidet in einem Berliner U-Bahnhof.

Jasmin wächst als Kind von tamilischen Eltern in Deutschland auf. Zwischen ihren beiden Heimatorten, Deutschland und dem tamilisch geprägten Norden von Sri Lanka („Eelam“) liegen über 7.000 Kilometer. Auf ihrem Instagram-Account führt Jasmin beide Welten zusammen. Unter dem Namen @diaryofabrowngurl_ schreibt sich die 23-Jährige dort seit über zwei Jahren ihre Gedanken von der Seele und trägt diese vor der Kamera vor. Neben Fitchecks mit Saree, Pal Tea Tutorials und Daily Vlogs, macht sie Videos über Sehnsucht, Rassismus und Traumata. Über ihren Weg zur Heilung und die Frauen, denen sie auf diesem Weg begegnet ist, hat sie außerdem ein bislang unveröffentlichtes Buch verfasst.

Wieso sie sich lange verstellen musste, was Rassismus damit zu tun hat und wie Jasmin ihre tamilische Seite zurückerobert hat, erklärt sie canny im Interview.

canny: Liebe Jasmin, du sprichst in deinen Videos darüber, wie du als Kind deine tamilische Kultur zu Hause gelassen hast, weil du sonst das Gefühl hattest, nicht dazuzugehören. Wie hätte deine Brotdose in der Schule ausgesehen, wenn das nicht der Fall gewesen wäre?

Jasmin: Ich hätte auf jeden Fall tamilische Snacks mitgenommen, die ich mir heute auch manchmal für die Uni einpacke. Es gibt solche Rolls, also quasi tamilische Frühlingsrollen, die meistens mit Fleisch gefüllt sind. Meine Mama macht die für mich mit Gemüse, weil ich Vegetarierin bin. Die Rolls sind dann mit verschiedenen Gemüse-Currys gefüllt, paniert und frittiert. Die würde ich mitnehmen oder Currys vom Tag davor in einem Sandwich aus dem Sandwich-Maker. Das ist auch mega lecker. Damals habe ich diese Sachen nicht mitgenommen, weil ich nicht wollte, dass jemand sagt, das stinkt ja, wenn ich meine Brotdose aufmache.

canny: Und dein Outfit?

Jasmin: Das wäre bunter gewesen. Besonders in der Teenie-Zeit habe ich es vermieden, Sachen zu tragen, die tamilisch oder südasiatisch wirken. Ich wollte nicht indisch gelesen werden, weil ich wusste, damit kommen Vorurteile. Für mich war das vor allem Goldschmuck. Sobald ich goldenen Schmuck getragen habe, wurde ich indisch gelesen und mit Englisch angesprochen. Deshalb habe ich mich lange Zeit geschämt, Gold, aber auch generell bunte Kleidung zu tragen.

canny: Wie hast du die Zeit erlebt, in der du deine tamilische Kultur verstecken wolltest?

Jasmin: In der ersten Klasse ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass ich anders bin. Nach einer Rassismuserfahrung habe ich nach unten geguckt und festgestellt: Oh, I’m brown. Ich habe eine andere Hautfarbe. Dann habe ich angefangen, Teile von mir zu verstecken. Zu Hause war für mich alles, was Tamil war, und sobald ich nach draußen gegangen bin, die Tür hinter mir geschlossen habe, war ich Deutsch. Weil ich nie ich selbst sein konnte und meine halbe Identität versteckt habe, war ich durchgehend angespannt. Das macht müde.

Mit 16 habe ich langsam gelernt, mich und meine Kultur zu akzeptieren und aufgehört, ständig darauf zu achten, was andere denken und in welche Schublade sie mich stecken. Erst dann habe ich auch die richtigen Menschen angezogen. Menschen, die mich nicht nur akzeptieren, sondern feiern. Bei denen ich die Jasmin von draußen und drinnen zusammenfügen konnte. Wenn ich mit meinen Migra-Freunden bin, fühlt es sich manchmal an wie Ausatmen und Entspannen.

canny: Über die Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen schreibst du in einem Text: Für einen Moment fühlte es sich an wie ein Zuhause, das ich nie ganz kannte, aber trotzdem immer vermisst habe. Kannst du dieses Gefühl näher beschreiben?

Jasmin: Ich hatte lange Zeit das Gefühl, nirgendwo zu Hause zu sein. Obwohl ich mit allem in Deutschland aufgewachsen bin, war da immer das Gefühl, dass ich mich beweisen muss, um wirklich dazuzugehören. Deshalb dachte ich immer, Eelam ist mein richtiges Zuhause. Bis ich das erste Mal dort war, und mir die Menschen plötzlich genau diese Kälte zeigten, die ich sonst aus Deutschland kannte. In Eelam war ich die deutsche Ausländerin und in Deutschland die Tamilin.

Ich glaube, dieses Gefühl, zwischen zwei Welten zu existieren, wird mich immer irgendwie beschäftigen. Aber ich habe es auch geschafft, mein Mindset zu ändern. Heute hole ich mir das Positive aus beiden Kulturen und bastle mir daraus meine eigene Kultur. Eine sehr inspirierende Person hat mal zu mir gesagt, dass wir Kinder von Eltern mit Migrationsgeschichte, eine Brücke bilden. Wir bringen Menschen zusammen, die sonst nie miteinander reden würden. Meine Oma aus Eelam würde nie etwas mit Deutschland zu tun haben, wenn es mich nicht gäbe. Ich bin eine Brücke zwischen zwei Welten, die sich sonst nie kreuzen würden.

canny: Auf Instagram teilst du diese Gedanken in Form von Texten und Videos. Welche Bedeutung hat das lyrische Schreiben und das Teilen von Erfahrungen für dich?

Jasmin: Ich war schon immer eine Person, die gerne geschrieben hat. Ich glaube, dass das bei vielen Leuten so born out of being misunderstood ist. Es gab immer vieles in mir, das ich nach außen nicht zeigen konnte, weil ich nicht in den passenden Spaces dafür war. Deswegen habe ich stattdessen geschrieben und es auf meinem Kanal Diary of a Brown Gurl gepostet. Ich habe mich extra so genannt, weil ich dachte, dann finden mich nur Leute, die mich finden sollen.

canny: Little did you know, dass du einmal über 17.000 Follower haben wirst… 

Jasmin: Little did I know, dass es nicht nur mein Tagebuch bleibt, sondern dass mich Leute finden werden. Auch die, die mich nicht finden sollten…

canny: Gleichzeitig kriegst du sehr viel positives Feedback von Menschen, die deine Erfahrungen teilen.

Jasmin: Es heilt mich, zu wissen, dass ich mit meinen Worten andere Menschen erreichen kann, dass ich meine Lebensrealität teilen kann und sich jemand darin wiederfindet oder vielleicht etwas daraus lernt. Worte sind für mich das stärkste Tool, das es gibt.

canny: In einem Video sprichst du über den Rassismus an indisch gelesenen* Menschen – vor allem auch auf Social Media. Du zitierst darin die Aussage Alle Inder stinken. Warum war es dir wichtig, genau diesen Satz aufzugreifen?

Jasmin: Als ich jünger war, hat mal jemand zu mir gesagt: Du riechst aber gut! Mein kindliches Gehirn hat da reininterpretiert, dass ich sonst nicht gut rieche. Dann ist mir plötzlich bewusst geworden: Wenn bei uns gekocht wird, bleibt der Geruch an meinen Haaren hängen. Ich habe von da an immer ein Handtuch auf dem Kopf getragen, damit ich meine Haare nicht täglich waschen musste. Auch meine Mutter hat immer akribisch darauf geachtet, dass wir nicht riechen, denn damit ist ein großes Stigma von Ungepflegtheit verbunden. Diese Vorurteile gegenüber indisch gelesenen Menschen haben jeden, der so aussieht wie ich, traumatisiert. Aus diesem Schmerz heraus habe ich den Text geschrieben, weil ich weiß, wie anstrengend das sein kann. Wir als Ausländer oder ausländisch Gelesene, müssen uns eh immer nochmal zusätzlich beweisen. Das ist ein Druck, mit dem viele zu kämpfen haben, von dem ich mich, Gott sei Dank, gelöst habe. So ein bisschen bleibt es aber trotzdem in meinem Hinterkopf, diese Hyperfixation darauf, wie ich rieche.

canny: Du hast die Kommentare unter diesem Video zwischenzeitlich deaktiviert. Wie waren die Reaktionen auf deinen Text?

Jasmin: Die Kommentare unter diesem Video haben wieder mal gezeigt, wie normalisiert und salonfähig Rassismus gegenüber südasiatischen, indisch gelesenen Menschen ist. Aussagen wie alle Inder stinken werden als Tatsachen angesehen, die nicht als Rassismus zählen. Und das kommt auch von Menschen mit Migrationsgeschichte, die eigentlich wissen, wie schlimm Rassismus ist. Für meine eigene mentale Gesundheit lese ich solche Kommentare nicht mehr.

canny: Nach all dem, was du erlebt und reflektiert hast – und jetzt, wo du deine tamilische Kultur offen und mit Stolz lebst: Was würdest du der zehnjährigen Jasmin heute gerne sagen?

Jasmin: Ich würde Little Jasmin sagen, dass das Licht am Ende des Tunnels so grell ist, dass man es sich kaum vorstellen kann. Und, dass es sich lohnt, weiterzumachen und durchzuhalten. Dass sich alle Steine auf dem Weg und alle Schwierigkeiten lohnen werden. Ich würde ihr sagen, dass, sobald man anfängt, all diese Boxen abzulegen, in die Leute dich stecken wollen, und einfach man selbst ist, man auch die richtigen Menschen anzieht. Einen großen Teil meines Heilens habe ich meinen Freunden zu verdanken.

canny: Wie eroberst du deine Kultur heute im Alltag zurück?

Jasmin: Ich erlaube meinem inneren Kind, farbenfroh zu sein und das zu tragen, was ich mir damals nicht erlaubt habe. Was mir auch irgendwie genommen wurde. Oft sind es Sachen aus dem Schrank meiner Mutter: ein alter Schal, ein Punjabi oder ein Saree, Stoffe mit Mustern, die ich in meine Outfits integriere – als Korsett-Top zum Beispiel. Ich bin heute unapologetically myself.

canny: Gibt es etwas aus der tamilischen Kultur, das dir besonders wichtig ist oder dich im Alltag viel begleitet?

Jasmin: Es gibt so ein Ding in unserer Community: Wenn man geht, dann sagt man im Tamilischen nicht Tschüss, ich gehe. Sondern man sagt Pōyiṭṭu varēṉ ( ோயிட்டு வரேன்). Das heißt so viel wie: Ich gehe, aber ich komme wieder. Wenn ich mich früher verabschiedet habe, habe ich gesagt: Ich gehe, ne‘? Und meine Mutter daraufhin: Du sagst nicht, ich gehe,du sagst, ich gehe und ich komme wieder. Pōyiṭṭu varēṉ.

  

* Mit „indisch gelesenen Menschen“ sind Personen gemeint, die aufgrund äußerer Merkmale oder kultureller Zuschreibungen als indisch wahrgenommen werden, unabhängig von ihrer tatsächlichen Herkunft oder Selbstidentifikation. Eine Person aus Sri Lanka, Bangladesch, Nepal oder Pakistan (oder auch jemand mit südasiatischer Familie in der Diaspora) wird in Deutschland oder Europa häufig „indisch gelesen“, weil viele Menschen hier Südasiat:innen stereotyp pauschal als „Inder:innen“ wahrnehmen.

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“Großzügigkeit als Grundhaltung, nicht als Ausnahme”