“Großzügigkeit als Grundhaltung, nicht als Ausnahme”
© Mirza Adabasi. Wenn ihr unseren Gast Tahsim Durgun nicht von TikTok oder Instagram kennt, dann vielleicht aus seinem Podcast oder dem Fernsehen oder seit Neuestem: aus seinem Buch.
Eigentlich ist Tahsim Durgun für seine klugen Witze und vor allem sein freches Mundwerk bekannt. Als @tahdurr teilt er auf Instagram gegen seine Geschwister, Alice Weidel und Almans aus. Über eine halbe Million Menschen schauen ihm dabei zu. Mit seinem bewegenden Debüt „Mama, bitte lern Deutsch“ schreibt er sich in die Bestsellerlisten und beweist mal eben, dass er nicht nur reden, sondern auch schreiben kann. Wir treffen den frisch gebackenen Autor daher in einem Word-Dokument, um über sein Buch, die sogenannte Ausländerbehörde und seine Mutter zu schreiben.
canny magazine: Tahsim, du – dürfen wir dich so nennen oder sollen wir dich lieber mit Bestseller-Autor ansprechen?
Tahsim Durgun: Eigentlich bin ich immer noch Lehramtsstudent, der zufällig in diese Branche gerutscht ist. Bestseller-Autor klingt schön, aber Tahsim reicht völlig. Ich sehe mich eher als kreativen Kopf für vieles.
canny magazine: Tahsim, du hast ein sehr persönliches Debüt geschrieben, es widmet sich dem Leben deiner kurdischen Mutter in Deutschland.
Für deine Mutter schreibst du ein ganzes Buch – das sie jedoch nicht lesen wird. Zumindest nicht auf Deutsch. Was hast du dir von „Mama, bitte lern Deutsch“ erhofft?
Tahsim Durgun: Das Buch war für mich eine Art Brücke. Meine Mutter wird es auf Deutsch nicht lesen können, aber es erzählt ihre Geschichte und die unserer Familie. Ich wollte, dass die Gesellschaft versteht, was Sprache bedeutet und wie Integration scheitert, wenn Menschen nicht wirklich ankommen dürfen. Es ist auch ein Liebesbrief an sie, selbst wenn sie ihn inhaltlich nicht direkt nachvollziehen kann.
canny magazine: Beim Lesen ist spürbar, dass du dich mit starken Gefühlen deiner Familie gegenüber schwertust. Deine Zurückhaltung erklärst du mit der Ablehnung, die dir, deinen Geschwistern und deinen eingewanderten Eltern seit Jahren in Deutschland entgegenschlägt. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Tahsim Durgun: Wenn du über Jahre merkst, dass du und deine Familie immer wieder auf euer Anderssein reduziert werdet, dann fällt es schwer, Gefühle ungefiltert zu zeigen. Diese Ablehnung prägt die Art, wie man Nähe ausdrückt. Manchmal bewahrt man sich dann, um nicht noch verletzlicher zu sein.
canny magazine: In deinen Erzählungen von ebendieser Ablehnung taucht ein Begriff immer wieder auf: Ausländerbehörde. Was verbindest du mit diesem (W)Ort?
Tahsim Durgun: Für mich ist das der Ort, an dem mir klar geworden ist, dass Integration in Deutschland oft ein absurdes Konzept ist. Egal wie viel wir tun, am Ende hieß es für mich: Pass bekommst du trotzdem nicht. Es ist ein Raum voller Widersprüche.
canny magazine: Wieso ist die sogenannte Ausländerbehörde für so viele Menschen ein beschissener Ort? Und wenn du die Behörde umtaufen könntest, wie würdest du sie nennen?
Tahsim Durgun: Weil sie für viele Menschen ein Ort der Demütigung ist. Dort wird entschieden, wer dazugehört und wer nicht – oft ohne Empathie. Besser wäre es, wenn Behörden Orte wären, an denen man wirklich willkommen ist, wo man nicht Bittsteller sein muss. Ich würde sie ‚Ankommensstelle‘ nennen, statt ‚Ausländerbehörde‘.
canny magazine: Besonders in Erinnerung bleibt das wunderschöne Zitat deiner Eltern: Der Sonnenschein des Tages gehört allen. Es fällt im Zusammenhang mit dem Teilen oder eben Nicht-Teilen von Essen, es geht um Großzügigkeit. Das einzige deutsche Sprichwort, das uns dazu einfällt, ist der bedeutungsträchtige Einzeiler: Futterneid. Von welchen kurdischen Traditionen oder Überzeugungen sollten sich Almans eine Scheibe abschneiden?
Tahsim Durgun: In meiner Familie hieß es immer: ‚Der Çay spült die Last deiner Seele weg.‘ Diese Haltung – dass man teilt, dass man Platz schafft am Tisch, egal wer kommt, ist etwas, das ich mir auch im deutschen Alltag mehr wünschen würde. Großzügigkeit als Grundhaltung, nicht als Ausnahme.
canny magazine: Zuletzt natürlich: Der Druck ist nach diesem Buch sicherlich enorm… Hat deine Mutter Deutsch gelernt?
Tahsim Durgun: Nicht so, wie es sich die Gesellschaft wünschen würde. Aber sie hat ihre eigene Sprache, ihre Rituale, ihre Art zu kommunizieren. Deutsch war nie das Maß, an dem ich sie messen wollte. Das Buch war eher mein Versuch, ihre Geschichte ins Deutsche zu übersetzen – für die Gesellschaft, nicht für sie.