Diese Generation rettet den Buchmarkt

Entgegen aller Widrigkeiten schreibt der Buchmarkt 2024 schwarze Zahlen. Der Held der Geschichte: Generation Z. Drei junge Frauen der Altersgruppe sprechen mit uns über ihr neues Buchformat. 

Drei junge Frauen sitzen vor der Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin und schauen in die Kamera. Auf ihrem Schoß liegen Bücher.

©Toni Quell. Wir treffen Emma Rotermund (links), Lilli Anlauf (unten) und Mira Nagel (rechts) in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin.

Die Ventilatoren summen ein Lied, während drei Frauen die Bibliothekstische mit Eistee, Büchern und Wassermelone verzieren. Es ist der letzte Donnerstag im Juni, das heißt, in wenigen Minuten, um 17.30 Uhr, kommen die Besucher:innen, um an den zusammengeschobenen Tischen über Bücher zu sprechen. Beinahe aus der Zeit gefallen wirkt das neue Buchformat der Zentral- und Landesbibliothek Berlin: In aller Ruhe, ohne Bildschirme und ohne sichtbares Ziel, wird bei Tee und Süßkram über Bücher geplaudert. Hier im Gruppenraum der Kreuzberger Bibliothek herrscht, trotz 30 Grad Außentemperatur, ein Klima, das man so aktuell nur selten spürt: Es ist friedlich.

„Ich nenne es: ein Buchclub, ohne dass man ein bestimmtes Buch gelesen haben muss“, sagt Lilli Anlauf. „Wenn es professionell klingen soll, dann nenne ich es Literaturvermittlungsreihe“, fügt Emma Rotermund hinzu und Mira Nagel beschreibt die Veranstaltung als „ein Format für einen entspannten Austausch zu Büchern. Ein Ort, an dem man beisammen ist und Tee trinkt.“

Freundinnen fürs Lesen

Lilli Anlauf, Mira Nagel und Emma Rotermund, die nun mit ruhiger Stimme und freundlichem Lächeln die Veranstaltung eröffnen, lernten sich in ihrem Masterstudium Angewandte Literaturwissenschaft kennen. Sie besuchten gemeinsam eine Lesung von Jovana Reisinger und wurden bald darauf Freundinnen. Auf Instagram sieht man, wie die drei bei schönem Wetter, Kaffee und Kuchen beisammen sitzen, jede mit einem Buch vor sich.

Aus dem kleinen Drei-Frau-Buchclub mausert sich spontan eine Lesereihe, als die Amerika-Gedenkbibliothek an der Freien Universität nach Ansprechpartnerinnen für eine Literaturvermittlungsveranstaltung sucht. Das neue Format Tee und Texte ist geboren – welches deutlich mehr Sexappeal im Namen trägt als die Sache mit der Literaturvermittlung.

Lilli Anlauf: „Der Tee soll dafür sorgen, dass es nicht so seminarisch wird. Den Uni-Look der Bibliothekstische und -stühle wollen wir mit Tee und Keksen aufbrechen. Es ist erlaubt, zwischendurch zu schmatzen und zu reden.“

Mira Nagel: „Uns ist auch wichtig, dass wir selbst nicht so viel sprechen. Auf keinen Fall wollen wir eine Veranstaltung, in der wir vorgeben, was man zu lesen hat.“

Emma Rotermund: „Das Schönste ist, einen Raum zu haben, in dem Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen zusammenkommen und über Bücher sprechen, auf die man sonst nicht gestoßen wäre.“

Wenn das nicht mal ein äußerst sinnvoller Zeitvertreib für jene ist, denen sonst eher vorgeworfen wird, ihre Zeit im Netz zu verscrollen. Mit ihrem Interesse an Büchern sind diese drei jungen Menschen nicht allein, im Gegenteil. Auch wenn es nicht der Plan war: Lilli, Emma und Mira sind Vertreterinnen einer Generation, die gerade den Buchmarkt über Wasser hält.

16- bis 29-Jährige kaufen mehr Bücher

Aktuell machen neue Erkenntnisse zur Lage des Buchmarkts die Runde. Auf der Wirtschaftspressekonferenz vom 10. Juli 2025 veröffentlicht der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Zahlen zur Umsatzentwicklung und Buchverkäufen im vergangenen Jahr. Demnach ist der Umsatz der Buchbranche in 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 1,8% gewachsen. Die Buchbranche schreibt trotz krisengeprägter Zeiten schwarze Zahlen. Alle Menschen kauften in 2024 weniger Bücher als in 2023 – bis auf die 16- bis 29-Jährigen, deren Buchkäufe erkennbar zunahmen.

„Bei den 16- bis 19-Jährigen stieg die Zahl derer, die Bücher kauften, 2024 um 9,6 Prozent, bei den 20- bis 29-Jährigen um 7,7 Prozent. (…) Rund ein Drittel der Menschen dieser Altersgruppe kauft Bücher“, heißt es in der Pressemitteilung des Bundesverbands

Drei Engel für den Buchmarkt?

Ob die drei Freundinnen für die positive Jahresbilanz der Buchbranche lesen? Vermutlich nicht. Aber wieso lesen sie dann?
„Ich mag vor allem den Austausch mit anderen darüber“, sagt Mira Nagel und Emma Rotermund entgegnet: „Ich liebe aber auch, dass es etwas ist, was man alleine macht. Dass ich mich mit mir selbst beschäftige über die Literatur. Dass ich mich womöglich in etwas wiedererkenne oder einen anderen Blick auf die Welt bekomme“.

©Toni Quell. Es war unter anderem ihr ähnlicher Buchgeschmack, der Lilli, Emma und Mira zusammenführte.

„Meine kitschige Antwort wäre: Ich habe schon als Kind viel gelesen“, lacht Lilli Anlauf. „Und dann ist das Lesen ein bisschen in Vergessenheit geraten, weil man cool und Teenager sein musste. Aber spätestens in der Corona-Zeit habe ich Bücher wiederentdeckt.“

Trotz krisenbedingter Unsicherheit und steigenden Kosten kauften junge Menschen also zunehmend Bücher. Die 16- bis 29-Jährigen, von denen die Rede ist – das ist übrigens die viel besprochene Generation Z. Die Weil-Du-zu-viel-an-diesem-Ding-hängst-Generation, die Internet- und Smartphone-Generation. Ausgerechnet diese jungen Leute tragen den Buchverkauf, wer hätte das gedacht? Wie sagt man? Not all heroes wear capes. Manche von ihnen sitzen in der Bibliothek und trinken Tee. So wie die drei Freundinnen Lilli, Mira und Emma an diesem letzten Donnerstag im Juni.

Urlaub in der Bibliothek

Passend zu den hohen Temperaturen lautet das Thema der Veranstaltung heute: Urlaub. Auf den zusammengeschobenen Tischen liegen zwei Ausgaben Heim schwimmen von Deborah Levy oder Die Yacht von Anna Katharina Fröhlich. Die Bücher haben kleine Aufkleber auf ihrem Rücken, sie sind aus dem Bibliotheksbestand. „Wir achten darauf, dass wir Bücher aus Indie-Verlagen mit dabei haben. Das ergibt sich meistens von selbst, wegen unserem Buchgeschmack, aber wir machen das auch, um Büchern, die nicht auf den Bestsellerlisten stehen, die nicht überall zu sehen sind, ein bisschen Aufmerksamkeit zu schenken. Unsere Auswahl wird dann auch von der Bibliothek besorgt und liegt zum Anschauen und Ausleihen aus“, erklärt Lilli Anlauf die Buchauswahl der drei Initiatorinnen. 

Gegen den prasselnden Regen des Sommergewitters draußen spricht drinnen Miras feine Stimme in die vierzehnköpfige Runde. Sie liest aus einem kleinen gelben Heft des Sukultur Verlags mit dem Titel (Nicht-) Urlaub. Es geht um postmigrantische Erzählungen über Erholungsversuche und Care-Arbeit in den Ferien. Nicht alle verbinden mit Urlaub die Freiheit von Verpflichtungen, so die Hauptaussage der kurzen prosaischen Erzählungen, herausgegeben von Katharina Walser. Der Input, den die drei Literaturstudentinnen vorbereitet haben, ist kein Smalltalk-Thema. Verwechseln die Veranstalterinnen die Bibliothek vielleicht doch ab und an mit dem Hörsaal?

Lilli Anlauf: „Wir versuchen die Inhalte zwar spezifisch, aber doch sehr offen zu setzen. Wir suchen nach Themen, zu denen alle etwas sagen können. Nächstes Mal sprechen wir zum Beispiel über Sport. Vielleicht fragt man sich, was das mit Literatur zu tun hat. Sicher könnte man ganz toll literaturwissenschaftlich erarbeiten, wie Sport in der Literatur vorkommt. Aber willkommen sind bei uns auch solche Fragen: Was ist mein persönliches Verhältnis zu Sport? Mache ich gerne Sport? Die offene Themenauswahl ist eine Maßnahme, um die Veranstaltung möglichst niedrigschwellig zu gestalten.“

©Toni Quell. Vor dem PopUp der Bibliothek nehmen die Drei Bilder der Bücher für die nächste Veranstaltung auf.

Die Veranstaltung ist kostenlos und bedarf keiner Anmeldung. Auch das fördert die Zugänglichkeit. Letzten Monat, zu kühleren Temperaturen, fanden sich hier mehr Besucher:innen jenseits der Generation Z ein. Eine Frau mit weißem Kurzhaarschnitt, runder Brille und knallrotem Lippenstift zum Beispiel. Ihr Gegenüber, ein Mann mit grauen Haaren, der über das Kinderbuch Die schönste Wunde sprach, das ihm zum Thema Fürsorge einfiel. Daneben eine junge Person ohne Pronomen, die mit strahlenden Augen und wilder Gestik von „der queeren Neu-Erzählung des Gatsby“ erzählte. Buchempfehlungen gibt es hier ohne jede algorithmische Logik.

Die heutige Runde Tee und Texte endet mit dem Verweis auf die nächste: Am 31. Juli um 17.30 Uhr wird im PopUp der Amerika-Gedenkbibliothek über Bücher zum Thema Sport gesprochen. Zum Abschluss schreiben alle Teilnehmenden einen ihrer Lieblingsbuchtitel auf ein Zettelchen. Beim Rausgehen darf jede:r einen Zettel ziehen und geht mit einer Buchempfehlung nach Hause. Lilli, Emma und Mira plaudern noch ein wenig mit Besucher:innen und räumen benutzte Gläser und Tassen auf den Servierwagen. Die Veranstaltung ist vorbei und zurück bleiben etwa ein Dutzend zuckrige Tassenabdrücke vom roten Eistee auf der weißen Tischplatte. Der Regen draußen hat aufgehört.

An den Tischen sitzen keine Besucher mehr. Es sind Ränder der Tassen auf den weißen Tischen zu sehen, die Sonne scheint durch die Fenster rein.

©Toni Quell

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Zwischen Hörsaal und Herkunft: Arbeiterkinder an der Uni